Musik

Der doppelte Faust – beeindruckend im Staatenhaus

Sehr weit saßen die circa 250 Zuschauer auseinander, alle vorschriftsmäßig mit Maske. Aber immerhin war die Bar im Foyer vorher geöffnet, so dass man mit mehr oder weniger lange nicht gesehenen Opernfreunden einen kleinen Plausch halten konnte – wenn man sie überhaupt erkannt hatte. Vorweg: die lange herbeigesehnte Öffnung des Staatenhauses wurde mit einer rundum musikalisch und szenischen Glanzleistung gefeiert, mit einem exzellenten Sänger-Team, mit einer sehr interessanten, hoch spannenden Regieleistung, auf einer superben, bildstarken Bühne -wenn auch unter Corona-Einschränkungen- und mit einer unglaublichen Orchesterleistung unter dem GMD FX Roth; er liess es sich nicht nehmen, die Texte des Mephisto in seiner Muttersprache selbst zu rezitieren – mit identischem Hemd wie der Mephisto-Sänger Samuel Youn. Der bereits bei der Ouvertüre paffend vor der ersten Reihe der Zuschauer herumstolzierte und sein Selbstwertgefühl gegenüber Faust demonstrierte. Von der Administration war zu erfahren, dass das kurzfristig erlaubte Umschwenken vom Stream zu immerhin sechs Life-Aufführungen sehr stressig und arbeitsintensiv gewesen sei – ebenso für die Bühnentechniker, die sich beim Schlussapplaus auch präsentieren durften. Daher ein großer Dank an alle, die das möglich gemacht haben, voran an die Intendantin Dr. Birgit Meyer, welche auch für die Dramaturgie zuständig war. Kein einfaches Unterfangen, denn es gibt eine extrem verworrene Quellenlage und keine echte Originalfassung, aber die Kölner Fassung kommt wohl der Intention der Autoren Jules Barbier und Michel Carré sehr nahe.

Diese Oper ist das populärste Werk von Charles Gounod (1818-1893), dem großen französischen Romantiker. Tief religiös war er, wollte ursprünglich Priester werden, blieb aber doch bei der Musik. Seine Erfolge waren zunächst bescheiden; erst mit dem „Faust“ wurde er als einer der angesehensten Vertreter der typisch französischen „Opéra Lyrique“ anerkannt, wenn auch die meisten seiner zwölf Opern nicht mehr auf dem Spielplan stehen. Ein Ohrwurm geworden ist sein „Ave Maria“ auf der Basis des Bach´schen wohltemperierten Klaviers 1. Teil.

Alexander Fedin als “alter Faust”

Maestro Roth war sichtlich in seinem Element, er schien – obwohl er die Oper zum ersten Male dirigierte – körperlich hoch engagiert in das Werk zu sein, stellte ich immer wieder auf, um seinen sehr aufmerksamen Musikern seine Intentionen quasi einzuimpfen. Die saßen auch auf Abstand,  und spürbar erleichtert, endlich und zum zweiten Male (nach dem Gürzenich-Konzert wenige Tage zuvor) erneut vor Publikum spielen zu können. Sie füllten die riesige Breite der Bühne mit blitzsauberem Blech, klangvollem Holz, vier Harfen, großer Orgel für die Spiritualität und präzisem Zusammenspiel mit der Bühne. Roth gab richtig Gas bei den lauten Passagen, dirigierte mit großen Gesten, genussvoll zu erleben, da die Musiker ebenerdig sitzen. Und nahm das blitzschnell parierende Orchester gekonnt zurück bei den eher zarten Passagen, alles ganz frisch und ohne jegliches übliche Pathos. Einer der Musiker meinte im privaten Gespräch „Wir sind schon sehr gut, wenn wir wollen“. Wenngleich es mit dem Chor (Einstudierung Rustam Samedov), der wegen Corona von der Seitenbühne aus dem Off sang, mangels Sicht und Entfernung schon einmal ein wenig auseinanderging. Rein optisch mimten zahlreiche Statisten die Chorsänger.

Bühne und Inszenierung waren natürlich Corona-konform aufgebaut, die Musiker saßen an Einzelpulten, die Massen- und Tanzszenen, der berühmte Faustwalzer, die Walpurgisnacht und der Soldatenchor wurden mit Videosequenzen illustriert. Mitten auf der Bühne prangte eine runde Scheibe, die als Kameraobjektiv, dann als Projektionsfläche für Videos (Bibi Abel), Stummfilme, Bilder und auch für eine EKG-Kurve diente, die mit Zacken und Nulllinie Leben und Tod symbolisierte. Es gab ständig ganz viel zu sehen. Regisseur Johannes Erath ist von Hause aus Geiger, wechselte dann ins Regiefach und hatte in Köln bereits mit „Manon“, Verdis „Aida“ und Glucks „Orfeo ed Euridice“ eine glänzende Visitenkarte abgegeben. Der Bühnen- und Kostümbildner Herbert Murauer, der seit seiner viel beachteten Kölner „Carmen“ auch in guter Erinnerung ist, hat die breite Bühne geschickt zu einem regelrechten Breitwand-Spektakel ausgenutzt. Da verschieben sich ovale Öffnungen als Bühnenelemente wie auf einem Laufband, rosa Schweinchen flitzen über die Bühne, natürlich gibt es einen Sarg und eine Kinderwiege, zur Walpurgisnacht flattern weiße Laken von Krankenhausbetten und stehen Tote auf, viele tolle optische Effekte, phantastische Oper halt.

Man sollte „seinen Faust“ aus der Pennälerzeit schon einigermaßen im Kopf haben, nur aus den Untertiteln lässt sich die komplizierte Geschichte nur schwer erkennen. Vor allem, weil hier die Rolle des Faust doppelt angelegt ist: der alte Faust, kongenial gesungen und gespielt vom ebenfalls nicht mehr ganz jungen Alexander Fedin in seiner letzten Rolle als Ensemblemitglied, rollengerecht im Rollstuhl, mit immer noch bemerkenswertem Tenor. Sein „Alter Ego“ – nach beeindruckender Verwandlungsszene –  ist Young Woo Kim als junger Faust glänzt mit viel Ausdruck und Kraft in der Stimme und prägnantem Spiel. Ensemble-Mitglied Samuel Youn, ständig mit Zigarette, trotzdem mit machtvoller sonorer Stimme und sehr spielstark. Als ehemaliges Mitglied des Kölner Internationalen Opernstudios hat er eine glanzvolle internationale Karriere hingelegt und singt immer wieder gerne in Köln. Auch Miljenko Turk ist ein Spross des Opernstudios und Träger des Kölner Offenbachpreises. Der sehr beliebte Bariton wird vielfältig eingesetzt und schuf in der Rolle des Valentin eine stimmlich und darstellerisch überzeugende Figur. Auch Lucas Singer gefiel sehr als Famulus Wagner.

Zu den Damen: Hier gebührte die Palme des Abends der entzückenden belgischen Gastsängerin Anne-Catherine Gillet, die mit der Rolle der Marguerite eine Idealbesetzung verkörpert: ein junger, sehr gut geführter Sopran mit sicheren Höhen, wandlungsfähig, lyrisch und mädchenhaft. Einfach traumhaft singt sie sich in die Herzen des Publikums. Welches allerdings mit Zwischenapplaus sehr sparsam umging; auch der Schlussbeifall war ungewohnt und unverdient eher mager. Musste man sich an das Klatschen erst einmal gewöhnen oder lag es an der pandemiebedingten geringen Zuschauerzahl? Auch Regina Richter sang und spielte die Hosenrolle des Siébel hoch überzeugend, ebenso Judith Thielsen als Marthe.

Der Oper Köln ist trotz der Beschränkungen und der gebotenen Eile eine fantastische Produktion gelungen, die nicht hoch genug gelobt werden kann; jedwede beckmesserischen Nörgeleien sind daher fehl am Platz, man sollte stattdessen sehr dankbar sein. Auch wenn das Programmheft zur Premiere nur als Kopie vorlag. Aber wen stört das schon ?

Premiere: 5. Juni 2021, weitere Aufführungen 12., 17., 24., 26. Juni

Fotos: ©Bernd Uhlig und M. Cramer (1)

Text: Michael Cramer

 

 

 

 

 

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