Theater

Döblins Mammutroman „Amazonien“  im kleinen Bauturmtheater

 

   

Von Michael Cramer

 

Premiere am 2.11.2018

Die Länder Europas machten bei der Kolonialisierung der „dritten Welt“ zumeist einen miserablen Eindruck, seien es die Iberer in Mexiko, die Engländer in Indien, die Franzosen im Norden von Südamerika oder die Deutschen in Südwestafrika; Macht- und Finanzstreben wie auch die Christianisierung liefen fast überall vollends aus dem Ruder. Weniger bekannt ist die Kolonialisierung des Amazonasgebiets durch die Spanier; der deutsche Schriftsteller Alfred Döblin (1878-1957) wollte in der Pariser Nationalbibliothek philosophische Studien betreiben, blieb indes an einem alten Atlas vom Amazonasgebiet hängen Der wurde Initialzündung für seine Romantrilogie „Amazonas“, geschrieben zwischen 1935 und 1937. In knapp 1000 Seiten und drei großen Teilen („Das Land vom Tod“, „Der blaue Tiger“ und „Der neue Urwald“) berichtet er von der Geschichte des Urwalds und seiner indigenen Bevölkerung, über deren Animismus, über die Tierwelt und die Utopie eines matriarchalischen Amazonenstaates. Im zweiten Teil folgt der Einbruch der Europäer und die Eroberung des Amazonasgebiets durch die Spanier, während der dritte Teil  den Blick auf das Europa der 1930er Jahre lenkt, aus dem heraus die Verfolgten des Dritten Reichs nach Südamerika fliehen. Ein riesiges, äußerst vielschichtiges Werk hat Döblin da vorgelegt, über die Verfehlungen Europas bei der Kolonialisierung, über die Ausbeutung der Natur, über die Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung.

Im Salzburger Mozarteum hat sich Regisseur Tom Müller diesen Roman als Abschlussinszenierung vorgenommen; ob des Umfangs und der Vielschichtigkeit der Vorlage schon ein recht kühnes Unterfangen. Mit im Boot ist das angesgte Kölner Bauturmtheater, wo auch die Premiere stattfand. Ein Herr mit Glatze im Anzug mit Schlips zelebriert vor dem Vorhang den Autor, der an seinem Roman schreibt. Hinter dem Vorhang dann eine Art Zelt, halb durchsichtig und vorne offen, in dem sich zwei männliche Gestalten (Paulo de Queiroz und Benjamin Kühni)  und eine Frau (Darja Mahotkin) im hautfarbenen Ganzkörper-Baby-Trikot  hinter einem grünen Plastik-Urwaldbusch wie die Affen benehmen, sie brabbeln Unverständliches, fallen seitlich raus.

Unklar bleibt, ob das die vorgefundenen Ureinwohner oder die Europäer in der Sicht der Amazonier sind; die Rollen wechseln später auch. Dieses Plastik-Haus, später mit einem Kreuz und einer offenbar animistischen Figur eines Nebengottes versehen, wird in den zweieinhalb Stunden (ohne Pause) später zur Kirche, zum Kloster, zum Kampfplatz, zur Mini-Bühne. Zu den einzelnen kurzen Szenen läuft jeweils über Lautsprecher ein langsamer Countdown.

Später werden sie aus dem Haus gejagt, eine gewaltsame Christianisierung wird erkennbar, eine große Zither (Symbol für Kirchenmusik ?) kommt in Spiel. Brandschatzung wird erkennbar mit Feuerschein. Die Drei mutieren zu christlichen Eroberern, mit schwarzen, hinten aber offenen Kutten. Gemeinsam schaut man Kino, als Zeichentrick den menschenverachtenden Film von den 10 kleinen Indianern. Auch ein Video über das Fällen eines großen Baums läuft; das alles ist schwierig zuzuordnen. Eine Feuerwaffe taucht auf als Symbol für die zunehmende Bewaffnung, zwei der Figuren werden erschossen. Zufällig oder absichtlich ? Später leben sie wieder, einer im Talar berichtet freimütig, jeden Tag 12 Heiden zu töten entsprechende der Zahl der Apostel. Seine flammende Rede für die Hinwendung zu Jesus kann offensichtlich nicht überzeugen.

Mit einer offenen Probe und Regiestuhl auf der Bühne beginnt Teil 3, mit wirrem Farbenspiel und wilder Musik, erinnernd an den Rauschgifttrip in Kubelicks „Odyssee 2000“. Reichlich Blasphemie folgt, Jesus hängt zuckend am Kreuz und ruft nach seiner Mutter. Die Gründung von Sao Paulo wird thematisiert, alte geflüchtete Nazis kommen ins Spiel, gefolgt von allerlei merkwürdigen, heftig belachten Sprüchen, zusammen mit strengen Benimm-Vorschriften, dazu ein fanatischer Jesus-Wahn und religiöse Besessenheit. Für den Rezensenten ist das alles in allem ein  schwer verständliches Potpourri und schwierig zuzuordnendes Gemenge an politischen, völkerkundlichen, religiösen und geografischen Einzelaktionen.

Ob man Döblins Intentionen damit tatsächlich wiedergibt, die beiden Welten der Indios und der Europäer erkennbar und verständlich zu machen, und ob sich das Werk für eine kleine Bühne eignet, sei dahingestellt. Es ist einfach zu viel ermüdendes Material im Stück, weniger wäre hier mehr. Erst recht nach dem finalen 10minütigem politischen Statement gegen den neuen rechtsgerichteten und homophoben Regierungschef durch den brasilianischen Schauspieler, welches am Thema des Abends stramm vorbeigeht. Dennoch ein heftiger langer Applaus für einen anstrengenden Theaterabend, für das Publikum wie die hervorragenden Schauspieler und den Regisseur.

www.theater-im-bauturm.de 

Fotos: ©Meyer Originals

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