Theater

“Blütenträume” im Theater am Dom – nahe an der Realität

Spätes Erblühen per VHS-Flirtkurs

Die Idee, sich als älterer Alleinstehender die Suche nach einem neuen Partner über den „Flirtkurs 60plus“ bei der Volkshochschule zu erleichtern, erscheint trotz vieler Kontaktbörsen im Internet gar nicht so abwegig – immerhin haben sich sieben Teilnehmer angemeldet, gestandene Charaktere mit langer Lebenserfahrung. Keine Rentner, keine Selbsthilfegruppe, sondern Menschen der „nachberuflichen Lebensphase“, wie der gockelhafte Friedrich (Volker Conradt), Schuldirektor a.D., dem völlig überforderten Kursleiter entgegenhält. Denn Jan (Martin Armknecht) mimt zwar den Jungdynamischen, ist aber ein arbeitsloser gescheiterter Schauspieler, der über das „Wolkenschaf im Weihnachtmärchen“ nicht hinausgekommen ist, nach seiner Coaching-Ausbildung bei der Caritas seinen ersten Kurs gibt, ständig „ich freu mich“ flötet und dabei ununterbrochen an seinem Handy hängt. Er versucht in einem nüchternen Klassenraum mit Stuhlkreis, albernen Spielchen und abgedroschen Phrasen das „Speed-Dating“ zu trainieren, hat aber offensichtlich sein eigenes Leben nicht im Griff und erzeugt zunehmenden Widerstand bei der Truppe. Der erfolgreiche Autor Lutz Hübner hat hier mit sehr viel Ernst, aber auch liebevoll und mit hintergründigem Humor Personen aus dem Leben gezeichnet, wie wir sie alle kennen: den wortkargen Automechaniker Heinz (Ulli Kinalzik), den seine Frau verlassen hat und der immer nach den besten Tricks fragt, die zeitlebens solo lebende, hoch kritische Bibliothekarin Britta (Ursula Bredin) und Jila (Renate Hundertmark), die ihren an Alzheimer erkrankten viel älteren Ehemann bis zum Tode gepflegt und das Alleinsein nie kennen gelernt hat.

Der Kursleiter schafft es nicht, die kritischen Teilnehmer aus der Reserve zu locken, wird aggressiv, brüstet sich mit seiner „wissenschaftlichen Grundlage für Verkaufstechniken“. Er merkt aber nicht, dass das überhaupt nicht passt, dass man in diesem Alter nicht mehr so leicht über den eigenen Schatten springen kann. Der ehemalige Schreiner Ulf (Klaus Schleiff), der seine Langeweile mit Holzbasteln tot schlägt, bringt es auf den Punkt: „Ernster kann ich nicht“ und landet einen effektiven Kinnhaken bei Jan, als dieser gegen Frieda (Ute Stein) handgreiflich wird. Der Kursleiter, vor allem auf Betreiben von Julia (Jenny Jürgens). Sie ist zwar erst 46, rutschte aber in diese Gruppe, da 40+ und 50+ nicht zustande gekommen waren. Eine typische verklemmte Karrierefrau, eine Heulsuse mit katastrophalem Privatleben und ständiger erfolgloser Partnersuche.

Man trifft sich zu einer alkoholschwangeren vorzeitigen Abschiedsparty mit Tanz, Outings zu missratenen Kindern und privaten Nöten, zu Lebensbeichten, während der Julia die geniale Idee kommt: „Wir gründen eine WG und nehmen“ – mit Blick auf Friedrich – „auch Düsseldorfer“. Alle sind zunächst begeistert, machen aber dann doch nach und nach Rückzieher, zumal sich bürgerliche Zweierbeziehungen anzubahnen scheinen – der Flirtkurs ist überflüssig geworden. Wer dann mit wem loszieht, sollte hier nicht verraten werden.

Blütenträume ist ein höchst unterhaltsames, intelligentes Stück mit durchaus philo- und psychologischem Tiefgang, mit viel Witz, ist eine Achterbahn der Gefühle und Neigungen, ohne jedoch die Figuren der Geschichte zu beschädigen oder gar ins Lächerliche zu ziehen. Aber auch ein Stück über die Sorgen und Nöte alleinstehender älterer Menschen, die noch gut im Saft stehen, neugierig sind und lieber in Zweisamkeit etwas erleben möchten: Blütenträume als Träume für das Erblühen einer späten neuen Liebe. Manch einer im vollbesetzten Theaterrund mag dabei Parallelen bei sich selbst oder im privaten Umfeld entdeckt haben.

Großes Kompliment für die durch die Bank exzellenten Akteure, denen der Regisseur und Hausherr René Heinersdorff ein sehr individuelles Profil verpasst hat, als Team und ganz ohne Star-Allüren der weithin bekannten Schauspieler. Riesiger jubelnder Applaus des zu Recht begeisterten Publikums; man kann dem Stück nach längerer Durststrecke des Theaters am Dom nur allerbeste Aufnahme wünschen.

Von Lutz Hübner
Premiere am 14.02. 2014
Regie: René Heinersdorff
Fotos: Theater am Dom

Theater am Dom Köln

 

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