
Die „Daffkes“ in Refrath – wie das denn ?
Wie kommt ein Gesangsquartett + Klavier aus Leipzig ausgerechnet nach Refrath (Teil von Bergisch Gladbach) in den Musiksaal von „Sinngewimmel“, in den Kult-Ort der Pianisten Nare Karoyan und Florian Noack ? Das Rätsel löste Nare gleich in ihrer charmanten Begrüßung, hatte sie doch mit dem Pianisten Ilan Bendahan Bitton an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz zusammen studiert.
Ein Beispiel für die exzellente Vernetzung der beiden Betreiber von „Sinngewimmel“, die aus diesem Fundus auch die Künstler für ihre erfolgreiche Konzertreihe schöpfen. Seit 2017 gibt es dort jährlich 8-9 Konzerte, die wegen ihrer guten Qualität und spannenden Formate ein großes Stammpublikum haben; so war der Saal trotz frühsommerlicher Wärme ausverkauft.

Der skurrile Name „Sinngewimmel“ ist eine dadaistische Wortschöpfung von Nare, es geht ihr um kulturelle Vielfalt, um Verknüpfung verschiedener Stile und Genres, die einen Sinn ergeben, und um Veranstaltungen, in die sie auch selbst gehen würde.

Zum Titel „Eine kleine Sehnsucht“ hatten ehemalige Absolventen der Musikhochschule Rostock die Zuhörer in die goldenen 20-er Jahre entführt; man könnte auch von „Zuschauern“ sprechen, da die drei Sänger auf der Bühne aufgrund ihrer exzessiven Mimik, der überraschenden Gestik und ihrer ausgeprägten Choreografie fast ein „Theaterstück mit Liedern“ aufführten. Bis auf den Mann am Klavier, der wie in alten Zeiten nur seine Finger bewegt. 2014 hatte man sich als „Die Damen und Herren Daffke“ zusammengefunden; der Name stammt aus dem Jiddischen und bedeutet „etwas nur aus Trotz tun“.
Ihr Programm besteht aber nicht aus den etwas oft gehörten Liedern und Chansons etwa wie der „Comedian Harmonists“, sondern sind politische und soziale, ein Jahrhundert alte und immer noch aktuelle Texte, bis auf die nach begeistertem Applaus gesungene Zugabe „Ein Freund, ein guter Freund“. Alle Akteure sind professionelle Musiker mit Zentrum Leipzig und mit klassischer Ausbildung, die in namhaften Ensembles oder an großen Bühnen spielen. So war Markus Paul, ausgebildeter Sänger und Schauspieler, diesmal nicht dabei, der am Staatstheater Cottbus fest engagiert ist und eine Aufführung hatte.
Was aber mitnichten auffiel, denn man hatte ohnehin nicht Ohren und Augen genug, um die anspruchsvollen Texte wirklich aufnehmen zu können und die Sänger auf der Bühne gebührend zu verfolgen. So die Sopranistin Friederike Kühl, zur Zeit an der Staatsoper Berlin engagiert in einem Händel-Oratorium: Sie begeistert nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit ihrem sich ständig wandelnden Gesichtsausdruck, von ihrer Klasse Erscheinung ganz abgesehen. So brillierte sie im “Wenn ich mir was wünschen dürfte-Klitschtango“ von Friedrich Hollaender, ebenso mit der „Kleptomanin“. Dennis Kuhfeld, mit einer stimmlichen Bandbreite vom Falselett bis runter zum Bariton, amüsierte mit der gestotterten Liebeserklärung „Ich hab´, ich bin, ich wär´“ das begeisterte Publikum, auch mit dem berühmten „Bilbao-Song“ von Kurt Weill/Bertolt Brecht.
Die Dritte im Bunde war die Altistin Franziska Hiller; mit ihrer erfrischenden Moderation führte sie nicht nur durch das umfangreiche Programm von 17 Liedern, viele darunter von Friederich Hollaender, die für eine Erinnerung an die früheren Zeiten stehen und die man auch von Hildegard Knef oder Tim Fischer kennt. Bei „So oder so ist das Leben“ denkt man automatisch an die eigene Vita, Franziska Hiller begeisterte mit dem Lied „My Ship“ von Kurt Weill in bester Broadway-Qualität, und dem Ohrwurm „Ein Lied geht um die Welt“. Köstlich der „Stoßseufzer einer Dame in bewegter Nacht“, womit allerdings nur die ungeliebte Nähe zum schnarchenden und sich wälzenden Mann gemeint ist.
Und wunderbar das Trio zusammen mit „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, zu Dritt singend eng verknotet. Der Begleiter Ilan Bendahan Bitton, ausgebildeter Konzertpianist, begleitete sensibel und mit furioser Technik, ihn hätte man gerne auch in einem Solostück erlebt.
Zugabe nach der Aufführung am 3. Juni 2023
Text und Fotos von Michael Cramer
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