Kunstmuseum Solingen: Keine Wally ohne Geier
Die Geierwally und der Berg in der zeitgenössischen Kunst
Text von Michael Cramer
„Die Geierwally“ – ist das nicht eine Heimatfilm-Schnulze? So dürfte der Großteil befragter Kulturkundiger reagieren. In der Tat, die fiktive Figur – Zentrum zahlreicher Filme, Romane und Bilder – hat tatsächlich existiert. Anna Stainer-Knittel war eine sehr aktive Malerin aus Tirol, die in München als eine der ersten Frauen Kunst studiert hatte, dann aber in ihre Heimat zurückgekehrt ist und dort von ihrer Malerei leben konnte. Überliefert ist ihre Geschichte als eine mutige Frau, die sich an einer steilen Bergwand abseilen ließ, um ein Geiernest auszunehmen; diese Vögel rissen viele Lämmer, die Bauern versuchten sie daher zu reduzieren. Ihre Tat – die Männer trauten sich nicht – animierte eine Illustrierte zu einer Zeichnung der Heldin, wo sie zu Annas Unmut nur von hinten abgebildet war. Daher griff sie selbst zu Pinsel und Farbe und schuf ihr Selbstportrait, wo sie einen geschlüpften Lämmergeier in ihrem Rucksack verstaut. Das Bild, Selbstportrait im Adlerhorst, 1864, Öl auf Leinwand, wurde erstmals im Museum Solingen ausgestellt und hing zuvor beständig in Wattens im Hause der Familie Stainer. Obwohl es dadurch nicht bekannt ist, gilt es dennoch als Masterpeace der Künstlerin.
Portrait Rosa Stainer, o.J., Öl auf Leinwand
Wie aber kommt das seriöse Solinger Kunstmuseum zu dieser Ausstellung „Die Geierwally und der Berg in der zeitgenössischen Kunst“ ? Dr. Nina Stainer, Enkelin der Malerin und Wiener Kunsthistorikerin, hatte eine wissenschaftliche Abhandlung über Oma Anna geschrieben, erschienen im Wiener Universitätsverlag, und war im Museum Solingen zeitweise beruflich tätig; so geriet Stainer-Knittel in den Fokus der stellvertretenden Museumschefin Gisela Elbracht-Iglhaut, welche die Familie seit langem kennt und die Ausstellung zusammen mit Nina kuratiert hat. Die notwendigen Finanzen kamen dann von Thomas Busch (Fa. Walbusch), der sich diese Ausstellung zum 80. Geburtstag schenkte.
Selbstportrait in den Lechtaler Alpen, 1869, Öl auf Leinwand
Nun ist das Werk von Anna kunsthistorisch eher bescheiden: hübsche, aber brave Landschaftsbilder mit Bergen, Blumen und Portraits, typisches Biedermeier halt. Aber die erstmalige Präsentation der Werke dieser klugen Frau überhaupt, die von privaten Sammlern losgeeist werden mussten. Und mitnichten ein Zugpferd für die fünf etablierten Gegenwarts-Künstler, welche den eigentlichen Kern der Ausstellung bilden; sie alle haben einmal in diesem Museum ausgestellt. Gemeinsames Thema ist der Berg und die von ihm ausgehende Faszination in unterschiedlichen Darstellungen. Sven Drühl (*1968) hat auf einem riesigen Triptychon Landschafts-Linien mit Silikon nachgezogen und alles tief schwarz angemalt. Rainer Eisch (*1967) hat mit seiner Trickkamera Landschaften simuliert, per Endlos-16mm-Film und historischem Projektor fliegt man über eine Scheingebirgswelt. Birgit Jensen (*1957) zeigt Berge in sogenannter Op-Art, mit einer Vermischung aus optischen Effekten und Rasterpunkten. Die Werke des Landschaftsmalers William Turner sind Vorbild für Hiroyuki Masuyma, der aus Hunderten Fotografien eindrucksvolle, so nicht existierende Landschaften konstruiert und auf großen Leuchtplatten präsentiert. Und Heike Weber (*1962) zeigt ein riesiges Berg-Panorama mit roter Wäscheleine (kein feministisches Symbol, wie sie selbst mitteilte) und hunderten von Nägeln in der Wand als Fixpunkte. Ein Unikat, welches nicht weitergegeben, sondern nur zerstört werden kann.
Alle Künstler und ihre Bilder der Ausstellung hier: http://www.kunstmuseum-solingen.de/ausstellungen/
Alpenrosen vor Bergpanorama, o.J. Öl auf Leinwand
Die fünf avantgardistischen, starken Werke schieben die Bilder der Anna Stainer-Knittel schon in eine leicht naive Klischee-und Kitsch-Ecke, wo sie nur schwer gegenhalten kann. Aber dennoch ist der Kontrast zu ihren Bildern durchaus reizvoll, vor allem hinsichtlich ihrer beeindruckenden Lebensleistung mit vier Kindern, der ersten Malschule für Damen und zahlreichen Bildern für den Lebensunterhalt in einer abgelegenen Gegend.
Kunstmuseum Solingen
Ausstellung bis 23. Juni 2019