Musik

“Mare Nostrum”, selten gespielte Kagel-Oper zu seinem 10ten Todestag

Kai Wessel und Miljenko Turk in „Mare Nostrum“
Foto: Hans-Jörg Michel

Kultureller Zusammenprall

26. September 2018

Mauricio Kagels „Mare Nostrum“ im Staatenhaus

von Michael Cramer

Der Oper Köln kommt das große Verdienst zu, sich seit vielen Jahren kontinuierlich und ohne kritischen Seitenblick auf Rentabilität und Auslastung um die zeitgenössische Opern gekümmert zu haben, parallel zum benachbarten WDR, der bereits 1951 sein „Studio für elektronische Musik“ installiert hat. Hier und dort gaben sich alle Größen der Szene die Klinke in die Hand, davon viele in beiden Häusern, wie Langemann, Rihm, Glanert oder Stockhausen. In diese illustre Reihe gehört auch der Argentinier Mauricio Kagel, der 1957 durch ein Stipendium nach Köln kam – und blieb. Von hier aus betrieb er weltweit eine äußerst erfolgreiche Tätigkeit als Komponist, Regisseur, als Hochschullehrer für neue Musik und wurde mit Ehrungen überschüttet; so hielt er 1986 den Festvortrag zur Einweihung der Kölner Philharmonie.

Mauricio Kagel
Foto: Sjakkelien Vollebregt / Anefo, CC BY-SA 3.0 NL (Ausschnitt)

Aus Anlass seines 10. Todestages erwies ihm die Oper die Ehre, sein Werk „Mare Nostrum“ als Kölner Erstaufführung in Szene zu setzen. Nun, wer Kagels Werke kennt (allein in der Kölner Philharmonie wurde er in über 80 Konzerten gespielt), dem war klar, dass es sich hier um eine extravagante Oper handeln dürfte. Kagel hatte schon in Argentinien über die Verherrlichung der Kolonialgeschichte geschrieben, mit „Mare Nostrum“ wollte er einen heiter-ironischen Kontrapunkt setzen. Ein Volksstamm aus dem fernen Amazonien entdeckt und befriedet den Mittelmeerraum; ein völlig abstruser Plot über Kolonialisierung und gleichzeitig so umfangreich, dass Richard Wagner daraus locker hätte einen weiteren „Ring“ schmieden können.

Nicht aber Kagel. Er hat die Geschichte eingedampft auf zwei Sänger und sechs Instrumentalisten, die in Köln mit dem jungen französischen Dirigenten Arnaut Arbet auf einer „Musikinsel“ sitzen, die auf dem Freiraum zwischen zwei schräg zulaufenden Zuschauertribünen langsam Richtung Bühne schwimmt. Eine wunderbare Möglichkeit, die Musiker zu beobachten, darunter ganz besonders die zierliche Perkussionistin Yuka Ohta mit einem unglaublichen Ensemble an „Geräuschmachern“; zu Recht wurde sie beim Schlussapplaus auf die Bühne gebeten. Das alles im Saal 3, wo sonst die Kinderoper residiert; auch hier zeigt sich wie in den anderen beiden Sälen, dass eine Inszenierung „auf die Breite“ durchaus ihren eigenen Reiz hat.

Viel zu sehen gibt es aber auch auf der Bühne, wo ein wahres Müll-Chaos herrscht, mit multiplen Abfällen, einer zeltähnlichen Behausung, mit gepressten großen Papier- und Plastik-Abfällen, mit allerlei Gerümpel und einem später enthüllten weiblichen Riesentorso – ein Dorado (oder auch Albtraum) für die Requisiteure des Hauses. Der Satz fällt: „Vor uns die Sintflut, nach uns das Strandgut“ – das passt präzise auf die zunehmende Vermüllung der Meere, und nicht umsonst heißt eines der Rettungsschiffe für Geflüchtete Mare Nostrum – wenn natürlich auch ohne Bezug zu Kagel. Im Müll staksen die beiden Protagonisten: Miljenko Turk mit gepflegtem Bariton als Sprecher und als Mittelmeer-Anrainer, der zusammen mit Mutter und Tante (stumme Rollen, bei Kagel nicht vorgesehen) nach einer Apokalypse überlebt hat. Der per Schiff angereiste Amazonier (blendender Contratenor Kai Wessel, der auch eine Breitseite an Geräuschen von sich geben muss) berichtet über die Konversion (Zwangsmissionierung) seiner Stammesgenossen. Hier prallt der Reisende auf den einheimischen Wilden, auf eine andere Denkwelt, auf Zuneigung, aber auch mit Konfrontation.

Kai Wessel und Yuka Ohta
Foto: Hans-Jörg Michel

Der junge Regisseur Valentin Schwarz, verantwortlich auch für die Bühne, hat sich mit Ausstattung, mit Aktionen und mit Kostümen (Astrid Eisenberger) nicht gerade zurückgehalten. Die Details sind in seinem multimedialen Tableau, in dem auch Kagel vom Band zu hören ist, kaum auch nur annähernd aufzuzählen. Manches ist eher lustig, einiges nicht verständlich wie die Kriegsbemalung der Musiker, und witzig wie die Karikatur von Mozarts „Entführung“ und dem „alla turca“ aus der A-Dur-Sonate. Und vieles schwer begreiflich oder kaum nachvollziehbar. So läuft sich manches tot und die Aufmerksamkeit lässt nach, insbesondere beim Verfolgen der Texte auf dem Bildschirm. Wenngleich sich die Qualität der Sänger und Musiker auf sehr hohem Niveau bewegt. Es ist sicher sehr interessant und eine gute Erfahrung, dieses selten gespielte Werk einmal live erlebt zu haben. Der Oper Köln gebührt daher große Hochachtung für ihr Engagement, das bei der Erstaufführung mit freundlichem Applaus bedacht wurde.

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