Musik

Eine Frau, drei Liebhaber und ein böses Kind – 2x Ravel im Staatenhaus

Katrin Wundsam als Conception
Oper Köln / Paul Leclair
07. Oktober 2016 – Text von Michael Cramer

„Die spanische Stunde / Das Kind und der Zauberspuk“ an der Oper Köln

Eine französische Oper von einem französischen Komponisten, natürlich auf französisch gesungen, mit Béatrice Lachausseé inszeniert von einer französischen Regisseurin und dirigiert vom französischen Gürzenich-Kapellmeister; dazu die vielleicht französische Herkunft der Bühnen- und Kostümbildnerin Nele Ellegiers  – eigentlich fehlt nur noch eine kleine Trikolore. Die Rede ist von der ersten Premiere der Spielzeit 16/17 der Oper Köln im Staatenhaus. Es war der ausdrückliche Wunsch vom Kölner Generalmusikdirektor François-Xavier Roth, die neue Spielzeit mit den beiden Kostbarkeiten der französischen Opernliteratur zu eröffnen, den Einaktern von Maurice Ravel, der erotischen Komödie L’heure espagnole“ (Die spanische Stunde) und der Oper „L’enfant et les sortilèges“ (Das Kind und der Zauberspuk), die in eine fantastisch-bedrohliche Kindheitswelt führt. Wenngleich es schwierig ist, zwischen den beiden Werken eine Brücke zu schlagen, um so reizvoller ist es, Ravel aus zwei verschiedenen Sichten zu hören und zu sehen. Beide Werke werden hierzulande selten aufgeführt; da war man schon neugierig. Wenngleich es unter dem Premierenpublikum Stimmen gab, die sich für die Spielzeiteröffnung eher einen mitsingfähigen „Kracher“ als diese beiden musikalisch höchst subtilen Stücke gewünscht hätten. Aber recht kann man es eh nicht jedem machen, und immer nur Traviata und Aida wird schnell langweilig.

Die spanische Stunde“ ist Ravels erstes Bühnenwerk, das der Komponist 1907 in einem einzigen Schaffensrausch niederschrieb. Ein Uhrmacherladen ist Dreh- und Angelpunkt amouröser Verwicklungen, in deren Zentrum die verführerische Conception steht. Jedes mal, wenn ihr erotisch wohl eher ruhiger Ehemann das Feld räumt, um sich in der Stadt um die öffentlichen Uhren zu kümmern, tauchen nacheinander drei Liebhaber auf. Jeder hat seine Vorzüge, aber am Ende schlägt die Stunde für den mit großer Muskelkraft gesegneten Ramiro. Alle Uhren ticken beständig; sowohl die biologische Uhr der liebesbesessenen Conception, wie auch deren straffer Zeitplan, die Verabredungen mit ihren Verehrern präzise zu synchronisieren. Reizvoll daher der Regieeinfall, indem der Dirigent sich fast heimlich erst einmal an der Orchester-Brüstung vorbeischleicht und zehn dort aufgestellte Metronome für längere Zeit symbolisch zum Ticken bringt. Das Frauenbild vor dem Ersten Weltkrieg war nicht gerade von Liberalität geprägt, und eine Verheiratete mit drei Lovern auf der Opernbühne sorgte schon für einen Skandal und Bekämpfung des Komponisten.

Die kleinteilige Musik Ravels ist ungeheuer vielfältig, feinsinnig und vielfarbig, Roth schafft mit energiegeladen engagiertem, aber auch sehr gefühlvollem Dirigat einen wundersamen leuchtenden Klangrausch und herrliche Farben, vornehmlich bei den bestens aufgestellten Bläsern und mittels eines umfangreichen Schlagzeugapparates. Ravel wollte mit dem Werk die italienische Buffo-Oper wieder beleben; dazu gehört natürlichen ein ebenso ausgebufftes Komödiantentum und eine ansprechende Bühne. Nele Ellegiers hat hier wirklich Famoses geleistet: begehbare und selbst umherwandelnde riesige bunte Wecker mit den Lovern auf einer schrägen Bühne, die selbst Teil einer Uhr ist und aus welcher der ungeliebte Uhrmacher immer wieder rein- und rausklettert. Auch die Ziffern der großen Uhr führen ein Eigenleben ebenso wie sämtliche Zeiger. Wenngleich das Stück ein wenig mehr erotisierende Action und Spitzen hätte vertragen können. Katrin Wundsam, ehemaliges langjähriges Ensemblemitglied, füllte ihr Rollendebut der Conception dennoch wunderbar mit schauspielerischem Leben und makellosem Gesang, John Heuzenroeder gab bestechend gut den gehörnten Torquemada. Ebenso die drei Herren auf amourösen Pfaden, der Schöngeist Gonzalvo (Julien Behr), der schlussendlich erfolgreiche Mauleseltreiber Ramiro (Thomas Dolié) und der umtriebige Bankier Don Inignio Gomez (Tomislav Lavoie).

Knapp zwanzig Jahre später vollendete Ravel „L’enfant et les sortilèges“. Ein Kind (sehr überzeugend: Marie Lonormand) wird mit Hausarrest bestraft, da es seine Schulaufgaben nicht gemacht hat. Allein gelassen, zerstört es voller Wut das Interieur des Zimmers und quält seine Kuscheltiere, die sich das allerdings nicht gefallen lassen. Da erheben sich die kaputten Gegenstände und Figuren gegen das Kind, die Tiere krabbeln aus einem überdimensionalen Buch, hinter dem ein ebenso riesiges Tintenfass steht. Da gibt es eine Wedgwood-Teekanne und eine chinesische Tasse zum Beispiel, die miteinander in einer Mischung aus Französisch, Englisch und Pseudochinesisch reden. Allerlei phantasievolle Insekten, Käfer, ein Eichhörnchen, Frösche, der Rechenmeister aus dem Mathebuch, eine große Anzahl von Einschlafhäschen (Kinder des Kölner Domchores); der Opernchor stellt eine ganze Batterie von Schäfern. Komische Momente, Augenblicke voller Poesie, aber auch surreale, für das Kind alptraumhafte bedrohliche Situationen wechseln sich in der Folge miteinander ab. Ravel hat dafür eine an Farbenreichtum kaum zu überbietende Partitur geschrieben, dem die bunten und originellen Kostüme von Nele Ellegiers in nichts nachstehen. Die insgesamt 20 Rollen werden von 8 Sängern, darunter drei neue Mitglieder des Kölner internationalen Opernstudios, rundum überzeugend dargestellt, die ständige Umzieherei ist sicher eine stressige Mammutaufgabe für die Kostümabteilung, die auch mal lobend erwähnt werden muss. Ein Sonderpunkt gebührt – neben dem prächtig aufspielenden Orchester und seinem GMD – der jungen Ensemble-Sopranistin Dongmin Lee als Feuer, Nachtigall und Prinzessin; die zierliche Sängerin verfügt über einen makellosen und müheloser hellen Sopran, der immer wieder aufhorchen lässt.

Natürlich geht die Geschichte gut aus, das rebellische Kind hilft dem verletzten Eichhörnchen, es zeigt auf einmal Anteilnahme, und alle Tiere lieben es wieder. So eignet sich das Märchenstück auch hervorragend für eine Kinderoper. Das Publikum im Saal 2 des ausverkauften Staatenhauses war hoch zufrieden und feierte das Produktionteam und die Sängerdarsteller gleichermaßen, wie der lange und laute Applaus nach gut zwei Aufführungsstunden zweifelfrei belegte. In diese Aufführung kann man sicher gut ein zweites mal reingehen, um all die vielen musikalischen und szenischen Details noch einmal aufnehmen zu können.

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