Musik

Verdi´s Dauerbrenner “Troubadour” – sehr eindrucksvoll in Köln

 

 

Ungewöhnliche, aber spannende Lesart des Opern-Klassikers

Rezension von Michael Cramer

Klasse Fotos von ©Bernd Uhlig

Trailer derAufführung: https://www.oper.koeln/de/mediathek#v123 

„Closed shop“ in der Kölner Oper? Mitnichten, trotz etlicher Unkenrufe von Operngegnern, die Chaos-Bude endgültig zu schließen, abzureißen und an einen Investor zu verkaufen, geht der Umbau weiter. Allerdings quälend langsam, von außen ist kaum eine Betriebsamkeit zu erkennen. Geplant war die Wiedereröffnung für November 2015, der Schreiber dieser Zeilen besitzt noch Eintrittskarten für die Premiere. Und angepeilt ist jetzt 2023 – wenn denn alles klappt. Nun macht die Oper Köln an ihrer Ausweichspielstätte im Staatenhaus einen sehr guten Job mit herausragenden Produktionen und einer sehr guten Auslastung, wenn auch halt im Provisorium. So auch mit der jüngsten Premiere, dem Dauerbrenner „Troubadour“ von Giuseppe Verdi. Die Intendantin Dr. Birgit Meyer, promovierte Ärztin und studierte Theaterfrau und Dramaturgin, hatte mit der Übernahme von Produktionen anderer Häuser ein gutes Händchen. In der Spielzeit 18/19 entzückte Domenico Cimarosas Hühner-Spektakel „Il Matrimonio Segreto“ aus Innsbruck,  dann bellte der Hund „Barkoufe“ aus Straßburg, die entzückenden „Ucellatori“ flatterten aus Wien in die Kinderoper und nun gab es eine Produktion aus dem angesagten Brüsseler „La Monaie“.

Diese Oper hat allerdings eine mehr als verworrene Handlung und ist kaum logisch zu inszenieren. So verzichtet auch Wolfgang Körner in seinem heiter-ironischen „einzig wahren Opernführer“ auf den Inhalt, die Anzahl der Toten und den „Kurztext für sehr Nervöse“ oder „Bildungsprotzer“, sondern hat nur einen Spezial-Tipp; „Oper unbedingt vermeiden, jeder Schnittmusterbogen hat einen klareren Aufbau“. Die Geschichte wäre als Schauspiel auch niemals aufgeführt worden, vergleichbar etwa mit den unsäglichen Texten von Richard Wagner. Der hatte seinen „Ring“ vorab als „Sonderdruck“ für seine Anhänger herausgegeben; ohne die Komposition wäre er für immer in der Schublade verschwunden. Wäre da nicht überall diese unglaubliche Musik, diese Ohrwürmer an Arien und Ensembles – da wird die Handlung schnell zur Nebensache. Es ist zu vermuten, dass wenige Operngänger in der Lage sind, diese Geschichte komplett wiederzugeben. So dachte vielleicht auch der weltweit inszenierende und vielfältig ausgezeichnete russische Regisseur Dmitri Tcherniakov. Er hatte 2012 das Werk für das Opernhaus in Brüssel inszeniert – nein, gründlich zusammengestrichen, die kleineren Rollen auf die Hauptagierenden übertragen, sämtliches traditionelle Beiwerk wie folkloristische Kostüme, Zigeunerromantik, Militärgerassel und lodernde Feuer eliminiert. Er lässt den handlungs-unwichtigen Chor nur aus dem Off singen, hat dafür aber Eifersucht, Aggressionen und Morde stark hervorgehoben. Ein vielfältiges Psychogramm von Vergangenheit und Gegenwart, welches unter die Haut geht.

 v.l.: Arnold Rutkowski, Giovanni Furlanetto, Aurelia Florian, Marina Prudenskaya, Scott Hendricks

Und auch eine gänzlich unübliche Bühne gebaut: Statt zahlreicher Einzelbilder, anderweitig oft per Drehbühne präsentiert, gibt es nur eine etwas antiquierte Villa mit vielen Zimmern in rotbraun und mit zahlreichen Spiegeln. Und hier spielt die Geschichte als „Gruppensitzung“, in der die Vergangenheit aufgearbeitet werden soll. Im geschlossenen Raum, denn die schick in Schwarz gewandete Zigeunerin Azucena schließt die Türe in die Außenwelt, von wo helles Sonnenlicht einfällt, einfach zu. In diesem „closed shop“  – man denkt an Sartre´s „Geschlossene Gesellschaft“ – mausert sie sich zur Spielleiterin, verteilt Handzettel über den Ablauf der Sitzung. Denn hier sollen die vergangenen mörderischen Ereignisse therapeutisch besprochen werden; diese sind für das Publikum über die Monitore gut zu verfolgen. Denn die Geschichte ist schlimm genug: Azucenas Mutter war auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, hatte vorher ihre Tochter um Rache gebeten. Diese raubte die beiden Grafensöhne, warf aber versehentlich ihr eigenes Kind ins Feuer. Dazu kommt der leidenschaftliche Konflikt zwischen Graf Luna und Manrico um die Gunst von Leonora, die sich in der Dämmerung versehentlich in die Arme des Conte wirft. Der Konflikt zwischen den beiden Männern ist offen ausgebrochen.

In der Pause gab es viele Diskussionen um das Gesehene, vor allem um die nicht ohne weiteres nachvollziehbare zeitliche Verortung der Handlung in die Gegenwart. Gut wäre es gewesen, wenn man zuvor einen Blick in das Programmheft geworfen hätte: denn dort steht auf  zwei gegenüberliegenden Seiten  die Handlung und in rot die Interpretation, also das, was Tcherniakov  aus der Geschichte gemacht hat. Und oben drüber: „Die Handlung spielt in der Gegenwart“. Das ist schon ein sehr interessanter und nachvollziehbarer Ansatz – nur dürfte das kaum jemand vorher eingehend gelesen haben. Denn in der Oper trifft man regelmäßig alte Bekannte, mit denen man gerne quatschen möchte. Wenn auch diesmal „auf Abstand“, denn die Corona-Krise war im Anmarsch, man hielt Abstand und vermied das Händeschütteln, was auch die Stimmung während der Aufführung in Sachen Zwischenapplaus schon beeinträchtigte. Auch die obligate Premierenfeier war diesmal nur schwach besucht.

 v.l.: Giovanni Furlanetto, Aurelia Florian, Scott Hendricks, Marina Prudenskaya, Arnold Rutkowski

Von daher sei hier erneut vorgeschlagen, für das Verständnis zumindest wesentliche Teile des Abendprogramms auf der Webseite der Oper aufzuführen in der Hoffnung, dass sie vorab gelesen werden. Auch das Gürzenichorchester setzt das Abendprogramm immer drei Tage vorher auf seine Webseite. Denn Tcherniakov hatte Manrico und Leonora in seiner Version zunächst am Leben gelassen, weil sie Teilnehmer der Gruppentherapie sein müssen; wenn sie am Ende dann doch ihr bei Verdi vorgesehenes Schicksal ereilt, in dem das Eifersuchtsdrama seinen Lauf nimmt. So kommt dann auch – wenn auch recht spät – Verständnis auf für die Version des Regisseurs – der wie zumeist auch – für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet.

Einig war sich das Publikum über die phänomenale musikalische Leistung des Abends. Will Humbug ist ausgewiesener Verdi-Spezialist, was er in Köln und auch in Bonn regelmäßig bewiesen hat. Mit hoher Spannung und dynamischen Kontrasten vermittelt er die Gefühle der Sänger, schafft ein sehr intensives, aber dennoch durchsichtiges Klangbild; die Gürzenich-Musiker folgen ihm willig, präzise und mit hörbarer Begeisterung. Die Intendantin hatte zuvor Arnold Rutkowski als indisponiert angekündigt. Bis zur Pause hielt er tapfer durch, man litt schon ein wenig mit ihm, zumal er unbedingt die Premiere singen wollte. Dann sprang mit kräftiger, wenn auch ein wenig eindimensionaler Stimme George Oniani von der Oper Bonn ein, Rutkowski spielte weiter und sang „tonlos“ mit; gut gemacht! Auch Scott Hendricks als Luna konnte voll überzeugen, sein gestandener markiger und farbenreicher Bariton überzeugte in Köln oft, zuletzt als Othello. Nicht minder begeistert war das Publikum von Aurelia Florian als Leonora, die alle Seelenqualen musikalisch und auch optisch nachvollziehbar gestaltete. Die fast-Titelheldin Azucena (Verdi wollte seine Oper zunächst nach ihr benennen) brillierte auch schauspielerisch in ihrer ambivalenten Rolle mit dramatischer Stimme und verkörperte den Racheengel perfekt. Und Giovanni Furlanetto kann stimmlich wunderbar den Familienkonflikt entschärfen. Rustam Samedow hatte seinen Chor bestens präpariert; man sah ihn zwar nicht, hörte ihn von der Seite aber um so besser.

Insgesamt alles ganz prima, wenn denn das verdammte Virus nicht wäre. Aber die Inszenierung (statt acht nur zwei Aufführungen) wird sicherlich später wieder auf dem Spielplan erscheinen. Und der Oper kann man nur ein glückliches Händchen und gute Nerven für die vielen anstehenden Aufgaben in der kommenden Spielzeit wünschen – wenn sie denn überhaupt stattfindet.

Premiere in Köln am 1. März 2020.

 

 

 

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