Musik

Sommeroper im Globe Neuss

Einmaliges barockes Event – zumindest bisher

Das war schon ein sehr ungewöhnliches Ereignis: im verkleinerten Nachbau des Globe Theaters aus Stratford-upon-Avon auf der grünen Wiese, aber nicht in Old England, sondern ganz banal auf der Rennbahn in Neuss. Hier wurde aber nicht wie in jedem Sommer ein blutrünstiges Shakespeare-Drama aufgeführt, sondern erstmalig Barockmusik. Im weitläufigen Garten flanieren die kulturinteressierten Besucher, viele mit einem Glas Wein in der Hand und verpflegt aus einem käuflichen „Fress-Korb“ – Picknick-Flaire a la Shakespeare. Sie lauschten der gemeinsamen Einführung zur Musik des Abends durch den Regisseur Nils Niemann und die Blockflötistin und Dirigentin Dorothee Oberlinger.

Picknik mit den Referenten im Hintergrund

 

Niemann ist Dozent für klassische Rhetorik und Theaterpraxis mit einem sehr informativen Aufsatz im umfangreichen Programmheft; er sorgt für ein stilistisch stimmiges und präzises Zusammenwirken von Musik, Sprache, Gestik und Bühnen-Bild. Und schafft so einen Zugang auch zu scheinbar historisch fernen Bühnenwerken. Seine Mitstreiterin Dorothee Oberlinger  ist auf ihrem Instrument weltberühmt und hat neben dem von ihr gegründeten Ensemble 1700 zahlreiche Barock-Events initiiert. Eine ideale Kombination, wie man hören und sehen konnte.

≈≈

Organisiert war das Spektakel vom „Festival Alte Musik Knechsteden“, angesiedelt im gleichnamigen Kloster ganz in der Nähe bei Dormagen, und im Besitz des Spiritaner-Ordens, der dort auch ein Gymnasium betreibt. Hier werden alljährlich sehr qualifizierte Barockkonzerte veranstaltet und oft im WDR übertragen. http://www.knechtsteden.com Und heuer ist man bei der Suche nach alternativen Spielstätten mal ins benachbarte Neuss ausgewandert, unter dem Segen des lokalen Kulturamtes. Und hat mit „Globe Baroque“ einen griffigen Namen gefunden, vielleicht auch für ein zukünftiges Festival zusammen mit der Stadt.

Theater + Fächer

Das Theater ist ein zwölfeckiger Rundbau, innen mit Zuschauerplätzen auf zwei Etagen, dazu ein paar kleine Lüftungsklappen. Die allerdings wenig effektiv waren, denn die hochsommerliche Hitzewelle im Theater war schon mörderisch, auch für die Musiker; so sah man den Kontrabassisten in der hinteren stickigen Ecke seine Noten als Fächer benutzen. Solche gab es allerdings kostenlos für alle Besucher, gestiftet vom Shakespeare-Festival. Schon sehr nett.

Dorothee Oberlinger – nicht gerade in Konzert-Robe

Das Hauptwerk des Abends, die Miniatur-Oper „Il giardino d’amore“ – der Liebesgarten – von Alessandro Scarlatti ist zu kurz, um damit eine ganze Veranstaltung zu bestreiten. Daher lag es nahe, noch zwei weitere Scarlatti-Werke zu präsentieren; aber beileibe nicht als Lückenfüller. Alessandro Scarlatti, nicht zu verwechseln mit seinem Sohn Domenico (der mit dem berühmten „Stabat Mater“) gilt als Erneuerer der Barockmusik mit einer schier unglaublichen Anzahl an Oper, Messen und Kantaten. Er sah es als vornehmste Aufgabe eines Opernkomponisten, menschliche Leidenschaften mit all ihren Nuancen in Musik auszudrücken, mit plastischer musikalischer Darstellung des Textes und in bildhaften Koloraturen. Genauso ist der Regisseur mit dem Stück verfahren. Aber zunächst konnte man noch Scarlatti-Musik lauschen.

Hier konnte sich Dorothee Oberlinger nach der Sinfonia (modern: Ouvertüre) aus „Venere e Amore“ so richtig austoben im Concerto IX a-Moll für Blockflöte und Orchester. Ihre unglaubliche Fingerfertigkeit mit mörderischen Läufen, ihre Atemtechnik und musikalische Phrasierungskunst begeistern immer wieder aufs Neue, auch wenn man sie schon life erleben durfte. Für „Il giardino d´amore“ rückten die Musiker dann an beide Seiten, die Dirigentin nach rechts, um Platz zu schaffen für die Oper. Die bestand aus zwei Sängern vor einem antik wirkenden quadratischen Portal, welches als Rahmen von Videobildern diente. Für mehr wäre auch kaum Platz gewesen, denn die Musiker vom exzellent aufspielenden Ensemble 1700 sollten ja auch noch irgendwo spielen können.

Xavier Sabata (links) und Roberta Mameli. Im Hintergrund Dorothee Oberlinger am Pult

Niemann geht so vor: Generell nahe an den Zuschauern, mit prachtvollen Kostümen und durchgängig höfischen Bewegungen (selbst beim jubelnden Schlussapplaus und nach der Zugabe). So bewegt sich allerdings kein normaler Mensch, es sei denn bei Hofe oder beim barocken Tanz. Dazu passt aber auch die Videoproduktion von Tørge Möller mit arkadisch anmutenden Landschaften, mit Seen, Vögeln  und Wasserfällen. Die Geschichte selbst ist eher banal, musikalische Stammeleien eines hoch verliebten Paares, mit „glücklichen Lüften“, „rauschenden Bächlein“, „geliebten Wäldern“ und einem „Schmerz, der jede Marter übertrifft“. Die 20 Arien und Rezitative sind bis auf zwei Duette, eins davon als phänomenaler Abschluss, immer solo gesungen. Im ausgezeichneten kostenlosen  Abendprogramm sind alle Texte des unbekannten Dichters auf Italienisch und Deutsch abgedruckt, so konnte man gut folgen – wenn man denn wollte. Die meisten Zuhörer warfen wegen der knappen Beleuchtung aber offensichtlich nur gelegentlich einen Blick hinein. Natürlich kann man ein solches Werk auch rein konzertant aufführen; aber Nils Niemann vermied jegliches gefürchtetes „Rampensingen“ durch eine einsichtsvolle Personenführung und geschickte szenische Anweisungen.

Ganz schön hoch und heiss da oben
Nils Niemann (links) und Tørge Moeller. Hinten Roberta Mameli in höfischer Pose.

Das Mitlesen musste auch nicht sein, es genügte vollends, sich dieser Musik und den ausgezeichneten Stimmen hinzugeben. Die waren hier vertauscht, die Göttin Venere ist ein Altus und wird vom katalanischen Countertenor Xavier Sabata gesungen, während sein angebeteter Geliebter, der Jäger Adone, von der international viel gefragten italienischen Sopranistin Roberta Mameli übernommen wurde. Aber das scheint niemanden im ausverkauften Hause gestört zu haben. Adone kommt mit einem Speer bewaffnet über eine Rampe auf die Bühne, quasi aus der realen Welt, während Venus vom oberen Rang wie aus dem Olymp herunterkommt. Der Countertenor von Sabata ist anders als man es sonst von solchen Sängern kennt, eher dunkel, ein „altus“ halt, rund und zart, aber sehr beweglich und mit satten Klangfarben. Und wunderschön anzuhören, vor allem im innigen abschließenden Duett, wo die gemeinsame Liebe besungen wird.

Roberta Mameli ist eine italienische Sopranistin mit umfangreichem Oeuvre, mit Schwerpunkt alte Musik; eingeladen wird sie von vielen europäischen Häusern und Festivals. Ihre herrliche klare Stimme, nuancenreich, sehr farbig und mit sicheren Höhen, war ein reizvoller Kontrast zum Altus von Sabata. Auch sie bewegt sich höfisch im zeitgemäßen Kostüm vom Bühnen- und Kostümbildner Johannes Ritter.

Neben dem agilen Konzertmeister und ausgezeichneten Soloviolinisten Jonas Zschenderlein müssen zwei Musiker auf der Empore besonders erwähnt werden: Der Perkussionist Peter Bauer und der Trompeter Jörg Altmannshofer. Letzterer imitierte neben seinem Trommeln und Tamtam immer wieder Vogelgezwitscher und Flußrauschen, ergänzt von der Dirigentin, die zwischendurch rasch zur Piccoloflöte griff. Und die barocke Trompete glänzte im wahrsten Sinne des Wortes, nicht nur hinsichtlich ihrer Politur, sondern im Duett mit Adone. Für den sehr reichlichen Beifall bedankten sich die Künstler mit einem Stück von Francesco Cavalli aus einer seiner zahlreichen Opern.

Und dann war man froh, wieder an der frischen Luft zu sein, trank noch ein Gläschen und quatschte mit gleichgesinnten Barockfans. Eine zeitnahe Wiederholung der Aufführung ist nicht vorgesehen, wie die Dirigentin auf Facebook mitteilte, aber vielleicht im kommenden Jahr. Es wäre sonst schade für die umfangreichen Proben und das Textstudium der stark geforderten Sänger.

Aufführung am 24.8.2022

Text: Michael Cramer

Fotos: Johannes Ritter, Nicola Oberlinger, Michael Cramer

Kommentare deaktiviert für Sommeroper im Globe Neuss